In den letzten Jahren hat sich aufgrund von Daten der polizeilichen Kriminalstatistik in der massenmedialen und politischen Öffentlichkeit die Auffassung durchgesetzt, daß die Kinder- und Jugendkriminalität in bedrohlicher Weise zugenommen habe. Möglicherweise ist aber auch die Anzeigebereitschaft in der Bevölkerung infolge einer erhöhten Kriminalitätsfurcht, der Zunahme interethnischer Konflikte oder einer verstärkten öffentlichen Thematisierung der Gewalt unter Jugendlichen gestiegen. Dunkelfeldbefragungen unter Schülern legen indessen nahe, daß die Jugendkriminalität weit weniger zugenommen hat, als es die Polizeistatistik vermuten läßt. Gleichwohl enthalten diese Studien deutliche Hinweise auf neuere, eher qualitative Phänomene einer gewaltsamen Intensivierung sowie Konflikt- und Verständigungsunfähigkeit. Es wird vermutet, daß diese mit der Herausbildung neuer Konsum- und Freizeitstile, Wert- und Leistungsorientierungen sowie auch mit der Veränderung familiärer Kontrollstrukturen korrespondieren. Damit im Zusammenhang werden neue Gruppenbildungen beobachtet, deren Grenzen zumindest partiell auch entlang ethnisch-kultureller Zugehörigkeiten verlaufen. Diese Prozesse sollen in einem ersten empirischen Zugriff mit einer wiederholten Befragung (Panel) Münsteraner Schüler untersucht werden. Neben einer angemessenen Beurteilung sozial-kultureller Veränderungen können damit auch kriminalpräventive Schulprogramme auf deren Akzeptanz und Effizienz hin überprüft werden. Die Studie wird vom kriminalpräventiven Rat der Stadt Münster befürwortet und im Rahmen eines Forschungsseminars, das die Studierenden der Rechts-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften aktiv in den Erhebungs- und Auswertungsprozeß einbezieht, vorbereitet.
Boers, K., Class, M., Kurz, P.: Self-Reported Delinquency in Germany after the Reunification. In: Junger-Tas, J., Terlouw, G.-J., Klein, M.W. (Eds.): Delinquent behavior among young people in the Western World. Amsterdam, New York: Kugler, S. 345-355.